Orkantief ,,Anatol"

03.12./04.12.1999


Der Orkan entwickelte sich am 2. Dezember über dem Nordatlantik aus einer zunächst nur schwachen Welle, die sich unter Vertiefung rasch ostwärts verlagerte. In den Nachtstunden zum 3. Dezember war sie bereits zu einem Tief mit einem Kerndruck von 985 hPa gereift und lag nördlich von Irland. Durch einen Kurzwellentrog in der Höhe erfuhr das Tief günstige Entwicklungsbedingungen und vertiefte sich in nur etwa 12 Stunden um weitere 40 hPa auf 952 hPa zum Orkantief. Wie aus Abb. 1 zu ersehen ist, zog es dabei über die Nordsee, im Bereich des Limfjordes über Jütland (Dänemark), über Südschweden (in der Nacht zum 4. Dezember) und die Ostseeinsel Gotland, das Baltikum  und weiter nach Russland, wo es sich dann bald abschwächte. 

 

Abb. 1: Lage und Kerndruck des Orkantiefs 'Anatol' im Abstand von 3 Stunden ab 02.12.1999 22:00 MEZ (21 UTC) bis 04.12.1999 19:00 MEZ (18 UTC).

Das Orkantief ‚Anatol‘ war in Dänemark, wo besonders hohe Schäden und zahlreiche Menschenopfer zu beklagen waren, der stärkste Orkan in diesem ausklingenden Jahrhundert. In Deutschland zählte er zu einem der schwersten Orkane der letzten Jahrzehnte (vgl. Abb. 2). Dabei traten in Dänemark und im äußersten Norden Deutschlands Windböen auf, die neue Rekordmarken für die Windmessreihen einzelner Stationen darstellten.
 

Abb. 2:  Beobachtete jährliche maximale Windböen an der Station 'List' auf Sylt seit Beginn der Aufzeichnungen 1950 bis 1999. Die mit etwa 184 km/h am 3.12.1999 17 UTC gemessene Spitzenböe stellt einen deutlichen Ausreißer nach oben dar.

Der tiefste Kerndruck wurde mit 952 hPa am 3. von 20 bis 22 Uhr MEZ zwischen der dänischen Insel Anholt und der Station Torup in Südschweden gemessen, die das Orkantief knapp nördlich passierte. Aus Abb. 3, die den Verlauf des Luftdrucks an den Stationen List und Torup zeigt,  ist zu ersehen, wie der ungewöhnlich starke Druckfall fast übergangslos in einen nahezu gleich starken Druckanstieg überging.
 

Abb. 3: Verlauf des auf Normal Null reduzierten Luftdruckes an den Stationen List auf Sylt und Torup in Südschweden. Die Daten von Torup werden nur alle 3 Stunden verbreitet.

Die größten Windgeschwindigkeiten traten südlich des Tiefs in der mittleren Nordsee über den Seegebieten Deutsche Bucht und Fischer (Seegebiet westlich des Skagerrak) und vor allem im südlichen Dänemark und nördlichen Schleswig-Holstein auf, wo der Wind Orkanstärke erreichte. Aber auch in den Seegebieten Belte und Sund, Westliche und Südliche Ostsee wurde schwerer oder orkanartiger Sturm mit Orkanböen aus vorwiegend südwestlicher bis westlicher, später teilweise nordwestlicher Richtung beobachtet.
 
 

Abb. 4: Verlauf der mittleren Windgeschwindigkeit (10 Minuten Mittelwert) auf der Nordseeplattform in 55,50 °N, 5,00 °E. 

Wie die Meldungen einer Nordseeplattform nahe der Doggerbank bei 55,50° N und 5,00° E (Abb. 4) belegen, hatte der Sturm hier bereits zur Mittagszeit (13 MEZ) Orkanstärke erreicht und verstärkte sich bis 16 Uhr auf 180 km/h. Mit seiner Ostwertsverlagerung wurden dann zwischen 17 und 19 Uhr MEZ auf der süddänischen Nordseeinsel Rømø und auf Sylt (Abb. 5) die stärksten Böen von fast 185 km/h gemessen. Wie Abb. 2 zeigt, stellt die Böe vom 3.12.1999 einen Rekord in der 50 jährigen Windmessreihe der Station List auf Sylt dar. Der Wert liegt 10% über dem bisherigen Rekord aus dem Jahre 1976. Da die Messungen danach wegen Problemen mit der Stromversorgung für mehrere Stunden ausfielen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass noch stärkere Böen aufgetreten sind.
 

Abb. 5: Tagesgang der gemessenen maximalen Böen und des 10-Minuten Mittelwindes an der Station List auf Sylt. Es sind mehrere Ausfälle der Messapparaturen zu verzeichnen.

In den Abendstunden weitete sich das Hauptsturmfeld ostwärts über die Ostsee aus und sorgte hier für eine stürmische Nacht. Auf der Ostseeinsel Fehmarn (Abb. 6) erlangte der Wind ab 19 Uhr Orkanstärke mit den stärksten Böen von 145 km/h gegen 21 Uhr. Im Norden von Rügen, am Kap Arkona, traten die stärksten Böen mit knapp 155 km/h um 23 Uhr und weiter östlich, auf der Insel Bornholm, gegen 1 Uhr MEZ auf. In den Frühstunden des 4. Dezember erreichte der Weststurm auf der Halbinsel Hela in Böen 152 km/h, in Gdansk (Danzig) 130 km/h und in Kaliningrad (Königsberg) noch 126 km/h.
 

Abb. 6: Tagesgang der gemessenen maximalen Böen und des 10-Minuten Mittelwindes an der Station Westermarkelsdorf auf Fehmarn. 

Südlich und nördlich dieses Sturmfeldes herrschten steife bis stürmische Winde vor, allerdings verbreitet mit Sturmböen, teilweise auch der Stärken 11 bis 12 wie beispielsweise in Hamburg.

An der dänischen und schleswig-holsteinischen Nordseeküste führte der starke Sturm, der zunächst aus Westsüdwest kam, dann auf West und in den frühen Abendstunden des 3. Dezembers auf Westnordwest drehte, zu Sturmfluten. In Hamburg erreichte der Wasserstand mit 5,82 m über NN gegen 23.15 Uhr seinen höchsten Stand. Es war das vierthöchste Hochwasser der neueren Geschichte.